Zum Nieder-Wieser-Lied von Fritz Stock
Ortsgemeinde Nieder-Wiesen im Frühling

Geschichte der Juden in Nieder-Wiesen

Der Ort gehörte im 18.Jahrhundert zur Herrschaft der Freiherrn von Hunolstein; diese siedelten in dieser Zeit gezielt Juden an (Peuplierungspolitik). 1745 wurde erstmals eine Synagoge erwähnt. In Oberwiesen gibt es um 1730 einen Begräbnisplatz für Juden. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts (Judenregister von 1808) lebten 76 Juden hier. 1861 stellten sie mit 124 Personen (Höchststand) mehr als ein Fünftel der Bevölkerung.   Durch Auswanderung (vor allem nach Amerika) und Abwanderung in die größeren Städte (Alzey, Mainz, Frankfurt, Mannheim) verringerte sich die Zahl der Juden stetig; bis 1900 halbierte sich ihre Zahl (62). 1931 lebten noch 30 Juden in Nieder-Wiesen, 1933 nur noch 20; es gab noch 3 jüdische Metzgereien am Ort. 1939 verließ die letzte jüdische Einwohnerin ihren Heimatort.  Es lebten also sicher über zwei Jahrhunderte Juden in der Gemeinde Nieder-Wiesen.

1864 wurde ein Neubau der Synagoge errichtet. Diese Synagoge in der Kirchgasse wurde 1938 in der Pogromnacht angezündet und zerstört; bald darauf wurde sie abgerissen. Mitte des 19.Jahrhunderts  gab es auch eine jüdische Schule und einen Lehrer im Dorf, mit etwa 30 Schülern. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Lehrerstelle (verbunden mit den Aufgaben eines Vorbeters und Schächters)  von Flonheim aus versehen. Synagoge, ein kleines Schulhaus und daran angebaut eine Mikwe (Frauenbad) lagen nah beieinander. Die Niederwieser Juden insgesamt waren eher arm. Daher ist es um so erstaunlicher, dass zu Beginn des 19.Jahrhunderts fast alle erwachsenen jüdischen Frauen schreiben konnten - zumindest ihren Namen in lateinischen Buchstaben (siehe Judenregister von 1808). Als Zeichen der Integration kann gelten, dass Seligmann Herzog schon seit 1874 dem Gemeinderat angehörte und 1910 wiedergewählt wurde.

In den 1930er Jahren verstärkte sich durch die Ausgrenzungspolitik der Nazis der Druck auf die jüdischen Bewohner und ihre Lebensbedingungen verschlechterten sich schnell. Einigen Familien gelang es, auszuwandern, meist nach den USA ( z.B. Familie Simon und Emma Mendel, 1937 mit insgesamt 10 Personen). Die Mehrzahl der Gebliebenen waren betagt und bedürftig. Nach der Reichspogromnacht 1938 lebten nur noch 5 ältere Frauen am Ort; die letzte Jüdin, die 61jährige Emma Mendel, verließ Nieder-Wiesen Ende Dezember 1939. Der Dorfpolizist vermerkte in seinem Bericht dazu: „Politisch ist die Jüdin nicht hervorgetreten, doch muß, da die Genannte Jüdin ist, angenommen werden, daß sie staatsfeindlich eingestellt ist. … Mit dem Auszug der Vorgenannten ist die Gemeinde judenfrei geworden“. Von den  in Nieder-Wiesen geborenen bzw. dort lebenden Juden wurden 12 deportiert und ermordet; alle waren zwischen 55 und 80 Jahren alt. Nach dem Krieg kehrten keine Juden mehr zurück.

Nachkommen Nieder-Wieser Juden leben heute vor allem in den USA (z.B. Familie Mendel). Zeugnisse jüdischen Lebens in Nieder-Wiesen sind heute noch der Friedhof in der Nähe des Dorfes, eine Erinnerungstafel an die 1938 zerstörte Synagoge an der evangelischen Kirche, und ein  Antependium (Textilbehang) in der Kirche.

Literatur:
Nationalsozialismus im Alzeyer Land, 2012, S. 235 – 240: Holzer, Gerhard: Fallbeispiel Nieder-Wiesen (mit Familienbiographien zu Auswanderung und Deportation)
Zahn, Ralf, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Nieder-Wiesen,  in Alzeyer Geschichtsblätter, Heft 14, 1979, S. 146 – 151
Ulla Huf, Facharbeit /Gymnasium am Römerkastell Alzey (Ms), 1986
www.alemannia-judaica.de/ Nieder-Wiesen (Fotos vom Friedhof von Tobias Kraft)

Gerhard Holzer, Juli 2015

Gedenktafel zur Erinnerung an die Synagoge

Gedenktafel zur Erinnerung an die Synagoge, die sich bis zu ihrer gewaltsamen Zerstörung durch die Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938 in der Kirchgasse befand. Die Tafel ist rechts neben dem Eingang zur Evangelischen Kirche Nieder-Wiesen`s angebracht.