Zum Nieder-Wieser-Lied von Fritz Stock
Ortsgemeinde Nieder-Wiesen im Frühling
Ortsgemeinde Nieder-Wiesen im Frühling

Nieder-Wieser Geschichte

Von Pfarrer Tobias Kraft

Wer heute nach Nieder-Wiesen kommt, wird bald erstaunt feststellen, dass hier bauliche Zeugnisse aus vergangener Zeit bis in unsere Gegenwart das Ortsbild prägen. Das Hunolsteiner Wasserschloss, die am Wiesbach gelegene barocke evangelische Kirche und manch altes Gemäuer überdauerten die Jahrhunderte und eröffnen dem interessierten Besucher überraschende Entdeckungen. Wenn die Steine reden könnten, würden sie uns manches erzählen können von Leben und Treiben in damaligen Zeiten. Aber die Steine der alten Bauwerke sind wirkliche Zeugen der wechselvollen Geschichte unseres Ortes, und wer ihr Zeugnis versteht, dem bleibt die Vergangenheit nicht stumm.

Die wichtigsten Daten und Ereignisse, die für Nieder-Wiesen von Bedeutung waren, sollen uns in die Geschichte des Dorfes einführen.

Die wichtigsten Daten und Ereignisse in der Geschichte des DorfesInhalt

Geographisch liegt Nieder-Wiesen im oberen Tal des Wiesbaches in der südwestlichsten Ecke des Landkreises Alzey-Worms mit heute ca. 600 Einwohnern. Landschaftlich und klimatisch gesehen gehört der Ort aber eher schon zu den waldreichen Ausläufern des Donnersberggebietes als zu dem von Weinbau und intensiv landwirtschaftlich genutzten Rheinhessischen Hügelland. Nieder-Wiesen liegt eingebettet in einem Talkessel an der Mündung des Dembachs in den Wiesbach. Der Grenzverlauf zwischen den Landkreisen Alzey-Worms und dem Donnersbergkreis - 500 Meter südlich des Dorfes - folgt der alten Grenzlinie zwischen dem Großherzogtum Hessen und dem pfälzischen Gebiet des Königreiches Bayern. Diese Grenzlinie geht zurück auf das Jahr 1816, als nach dem Wiener Kongress das Gebiet der Pfalz bayerisch wurde und die nördliche Region, begrenzt durch Nahe und Rhein - im Städtedreieck Mainz, Bingen, Alzey, Worms - dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zufiel. Seit dieser Zeit heißt unser Gebiet „Rhein-Hessen“.

Erste urkundliche Erwähnungen über Nieder-Wiesen finden sich allerdings schon in den Jahren 772, 773 und 1150 n.Chr.: Ortsnamen wie Witgum, Villa Witze, Wissen, Wißerthal u.a. weisen auf frühe Besiedlung unseres Gebietes hin. Aus der Zeit um 4000 v.Chr. stammen zwei Pflugsteine, die in der Gemarkung gefunden wurden; daraus lässt sich erkennen, dass das wasserreiche Gebiet Nieder-Wiesens schon damals die Heimat steinzeitlicher Ackerbauern gewesen sein muss.

Ca. 300 v.Chr. waren es keltische Siedler, die den Schlossberg mit einem Oppidum bebauten, also einer Burg oder einem Heiligtum mit Mittelpunktsfunktion.

Nach römischen Besitz wurde das linke Rheinufer im 3.-4. Jahrhundert germanisch und gehörte schließlich zum fränkischen Reich. Unter König Chlodwig wurden die Franken zu Christen (496).

Als schließlich im Jahre 700 n.Chr. die Fränkischen Könige aus dem Hause der Merowinger das Wiesbachtal (damals hieß es noch Aschbachtal) aus Sorge um ihr Seelenheil dem Kloster St. Maximin in Trier schenkten, lässt sich die Geschichte Nieder-Wiesens etwas genauer verfolgen:

Ab dem Jahre 774 ist der Graf von Luxemburg Vogt (von lat. ,,advocatus = Rechtsvertreter"), d. h. Verwalter der klösterlichen Besitztümer. Die Vögte waren mit der Verwaltung des klösterlichen Besitzes, sowie der Vertretung in rechtlichen Angelegenheiten betraut, auch für den Schutz der Besitztümer waren sie verantwortlich. Dafür standen ihnen ein Teil, meist 2/3, des sog. ,,Zehnten" zu; das war die damalige Steuer, die an das Kloster abgeführt werden musste in Form von Geld oder Na-turalgaben.

Um das Jahr 1200 wurden dann die Rau- und Wildgrafen von Neu-Bamberg Untervögte der Luxemburger Grafen. Am 23. Mai 1375 verkauft der Raugraf Philipp II. von Neu-Bamberg („Herr zu der neuen und zu der alten Baumburg“) - vielleicht aus Geldnot - für 377 Gulden (heute ca. €  7.500) ein Teil des Dorfes und des Gerichtes Nieder-Wiesen an Diedrich von Morschheim und seine Gemahlin Else; 1397 geht der andere Teil des Besitzes als Mitgift bei der Heirat der Tochter des Raugrafen an Graf Philipp III. von Dhaun-Oberstein über, der auch im Besitz der Grafschaft Falkenstein am Donnersberg war.

Schon kurze Zeit später um 1400 erwarb der Graf von Virneburg die Falkenstein'schen Besitztümer und damit auch einen Anteil Nieder-Wiesens, doch im Jahr 1441 wurde dieser Besitz von den Grafen von Virneburg an Simon von Gundheim als Lehen abgetreten. Dieser erwarb dann 1453 die Hälfte des Ortes. Im Jahre 1492 wird schließlich mit der Errichtung der St. Georgskapelle begonnen, ein Vorgängerbau des heutigen Kirchengebäudes. Die Besitzverhältnisse änderten sich wiederum, als sich im Jahr 1519 Hans Friedrich von Morschheim Nieder-Wiesen sowohl von den Gundheimern als auch von den Dhaunern, den Herrn von Falkenstein, durch Ankauf gänzlich zu eigen machte. Über 130 Jahre lang muss Nieder-Wiesen im Besitz derer zu Morschheim gewesen sein - von dort wurde es auch pfarramtlich betreut - bis um das Jahr 1650 nach dem Dreißigjährigen Krieg der Graf von Steinkallenfels den Ort erwarb, der nun nicht mehr Wiesheim, sondern Nieder-Wiesen hieß.

Doch die Steinkallenfelser Herrschaft war auch nur, wie schon so oft vorher, eine Übergangsherrschaft. Durch Heirat und verwandtschaftliche Erbfolge wurden Ende des 17. Jahrhunderts die Vögte von Hunolstein Freiherren und Grundherren in Nieder-Wiesen, Nack und Schniftenberg.

Der Name des Geschlechtes „von Hunolstein“ – entstanden aus hunwalt / hunolt = hochragend – leitet sich her von dem hochragenden Stein oder Felsmassiv, auf dem die Vögte von Hunolstein ihren Stammwohnsitz hatten. Dieses weithin einzigartige Felsmassiv am Fuße des Dorfes Hunolstein im Hunsrück fällt mehrere hundert Meter fast senkrecht zum Dronbachtal ab – eine für mittelalterliche Verhältnisse ideale Voraussetzung für die Anlage einer Burg. Das Motiv des „Steins“ begegnet uns wieder im Wappen der Hunolsteiner.

Das Wappen der Freiherren von Hunolstein

Die reichsritterschaftliche neue Besitzerfamilie des Ortes, die über drei Generationen bis zum Jahre 1796 Herren zu Nieder-Wiesen waren, prägten nachhaltig das Ortsbild bis zum heutigen Tage. Nach dem frühen Tod von Johann Georg von Hunolstein ( * 1675; Herr zu Merxheim und Nieder-Wiesen, + 16.6.1706 zu Merxheim bei Kirn) übernahm für den noch nicht volljährigen Sohn Georg Ernst die Mutter Sophia Elisabeth, geb. Rauin von Holzhausen zu Randeck die Herrschaft.

Aus der Zeit der Regentschaft von Georg Ernst von Hunolstein ist uns das Wappen der Familie von 1722 erhalten geblieben. Es bildete 1962 die Grundlage des noch heute gültigen Ortswappens von Nieder-Wiesen. Aus der Biographie von Freiherr Georg Ernst ist weiter bekannt, dass er im Alter von 27 Jahren, am 21. August 1724, als königlich schwedischer Leutnant in Frankenhausen /Hessen starb und in der dortigen Kirche beigesetzt wurde.

Die Herrschaft übernahm nun der jüngere Bruder Johann Friedrich von Hunolstein. Während seiner Regentschaft wurde zwischen 1724 und 1744 das barocke Wasserschloss als Herrenhaus errichtet. Ursprünglich war es zweistöckig und von Wiesbach und Dembach umsäumt. Den eindrucksvollen Wassergraben kann man heute noch erkennen.

Im Innern erinnert der ehemalige Empfangssaal und seine erhaltene Stuckdecke mit allegorischen Darstellungen der vier Jahreszeiten an jene Periode adeliger Herrschaft. Durch die Wirren in der Französischen Revolution wurde das Schloss 1796 gebrandschatzt und baulich stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Obergeschoß wurde ein Raub der Flammen. Der letzte Hunolsteiner in Nieder-Wiesen, Freiherr Karl Philipp (* 29. 4. 1732 in Nieder-Wiesen, 1759 verh. in zweiter Ehe mit Henriette Susanne von La Roche-Starkenfels), verlor noch im selben Jahr seine Herrschaftsrechte; allerdings unternahm er, auch nachdem Nieder-Wiesen nun zum Kanton Alzey des Französischen Departement ,,Monttonnerre“ (Donnersberg) gehörte, zunächst gewaltige Anstrengungen, um seinen Besitz (Schloss und das große landwirtschaftliche Gut) zu behalten und den Umständen entsprechend zu erhalten. Hochbetagt starb er mit 83 Jahren im Jahre 1816 in Nieder-Wiesen und wurde noch in der Familiengruft in der Kirche beigesetzt.

Im selben Jahr wurde Nieder-Wiesen nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses unter Hessische Verwaltung gestellt und war seit 1816 ein Dorf der Provinz Rheinhessen im Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die Hunolstein' schen Erben verließen Nieder-Wiesen und das Schloss mit Hofgut und allen Liegenschaften, wie z. B. die Schniftenberger Mühle, wurden noch von Freiherr Karl Philipp kurz vor seinem Tode veräußert.

Sein ältester Sohn Friedrich Christian Karl Ernst von Hunolstein ( * 22. 4. 1760 in Nieder-Wiesen) starb am 4.3.1808 in Nack, dem letzten Hunolsteiner Besitz. Der dortige Hunolsteiner Hof war ein in sich abgeschlossener und vom übrigen Dorf mit einer Bruchsteinmauer abgegrenzter Bereich mit eigenen Gesindehäusern. (Reste des Anwesens finden sich in der Hauptstraße 46).

Sein Sohn Karl Daniel Leonhard Vogt und Freiherr von Hunolstein (* 23.1.1788 in Saarbrücken, + 14.1.1869 in ...?...lautern) verkaufte auch schließlich den Nacker Besitz und heiratete Susanne Friederike Luise Fresenius, die Tochter des Pfarrers Johann Christian Fresenius aus Nieder-Wiesen. Er amtierte dann als Förster in Merzig. Damit ging die Epoche Hunolstein‘schen  Wirkens in unserer Gegend zu Ende.

Mehrere Eigentümer bewohnten seitdem das Anwesen des Schlosses: Christian Philipp Fresenius, der Sohn des letzten Pfarrers Fresenius sei hier genannt, der es an die Familie Engisch, den Verwaltern des Löwenstein‘ schen Besitzes in Wendelsheim veräußerte. Im Besitz dieser Familie war das Schloss zwischen den Jahren 1828 und 1974.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es in seiner jetzigen Gestalt wieder aufgebaut. Aus den Steinen des zerstörten oberen Stockwerkes wurde die ehemalige Schule gegenüber der Kirche gebaut. Von 1974 bis 1998 gehörte das Schlossgut der Familie Bursch; danach war es im Besitz der Familie Dr. Meyer, später der Familie Pfeiffer, sowie der Familie Dittel. Seit 2009 befindet es sich im Besitz der Familie Franke.

www.wasserschloss-hunolstein.de

Nach dem 1. Weltkrieg verblieb das Gebiet von Rheinhessen und damit auch Nieder-Wiesen dem ,,Volksstaat" Hessen. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde Rheinhessen als ehemaliger Teil der Französischen Besatzungszone von Hessen abgetrennt und dem damals neuen Bundesland Rheinland-Pfalz zugeschlagen. Rheinhessen blieb allerdings als Regierungsbezirk zunächst erhalten. Nieder-Wiesen gehörte seit 1835 zu dem darin liegenden Landkreis Alzey. Im Zuge der Verwaltungsreform im Jahre 1969 wurden sowohl die Regierungsbezirke Rheinhessen und Pfalz vereint, als auch die Landkreise Alzey und Worms. Die Dörfer des Alzeyer Landes wurden verwaltungsmäßig zur Verbandsgemeinde Alzey-Land zusammengefasst, seitdem ist Nieder-Wiesen eine Ortsgemeinde in der Verbandsgemeinde Alzey-Land und dem Landkreis Alzey-Worms zugehörig.

Die Bürgermeister von Nieder-Wiesen

Als Bürgermeister amtierten in Nieder-Wiesen:

Jost Frambach (Verwalter aus Alzey / später Bürgermeister)1798 – 1799
Martin Sittel1799
Konrad Frambach1800 – 1802
Philipp Christian Fresenius1802 - 1808
Louis Simon (aus Alzey)1808 – 1810
Andreas Steuerwald (erster gewählter Bürgermeister)1810 – 1831
Friedrich Steuerwald (Sohn seines Vorgängers)1831 – 1837
Peter Steuerwald (älterer Bruder v. Friedrich Steuerwald)1837 – 1843
Heinrich Engisch1843 – 1857
Karl Engisch (Sohn seines Vorgängers)1858 – 1868
...?... Bastian1868 – 1875
Karl Engisch1875 – 1905
Philipp Mees1905 – 1933
Jakob Bastian1933 – 1943
Philipp Fresenius (1.Beigeordneter)1943 – 1945
Johann Baumgärtner1945 – 1948
Wilhelm Grauer1948 – 1956
Philipp Heck1956 – 1974
Wolfgang Haarmann1974 – 1975
Walter Fröhlich1975 – 1991
Hans-Wilhelm Kern (Enkel von Wilhelm Grauer)1991 – 1999
Friedrich Brunk1999 – 2004
Hans-Wilhelm Kern2004 – 2014
Gernot Heck (Sohn von Philipp Heck)2014 – 2016

Das frühere Leben in Nieder-Wiesen

Bis in das 18. Jahrhundert arbeiteten die Menschen hauptsächlich in der Landwirtschaft und bestellten in Abhängigkeit und Diensten der jeweiligen Herrscherfamilie die ihnen zugeteilten Ländereien. Neben dem „Zehnten“ trieben allerdings oftmals mancherlei Sonderabgaben und Lasten die Bauern und ihre Angehörigen in den existentiellen Ruin. Besonders in Hungerjahren nach schlechten Ernten (z.B. 1816) zwangen die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Not manche Einwohner Nieder-Wiesens zum Auswandern in die Neue Welt nach Amerika, Kanada und Brasilien. Auch während der von Hunolstein'schen Herrschaft hatte das Nieder-Wiesener Untertan-Verhältnis durch ein überdurchschnittlich hohes Maß an Abgaben und Sondersteuern eine unerfreuliche Seite. Andererseits waren grade die Hunolsteiner bedacht, die Zahl ihrer Untertanen zu mehren.

Durch konfessionelle Toleranz fanden im 18. Jahrhundert Menschen aus aller Herren Länder (Lutheraner, Reformierte, Katholiken, Juden, Zigeuner) Aufnahme im Dorf. Die Einwohnerzahl stieg trotz zeitgleicher Auswanderungen beachtlich. Auch durch die vielen Mitglieder der Hunolstein'schen Familie selbst und deren Verbindungen mit Verwandten und befreundeten Häusern wurde der Ort belebt. Neue Berufsfelder, die im direkten Dienst der Herrschaftsfamilie standen, siedelten sich in Nieder-Wiesen an: Hofbeamte, Jäger, Gärtner, Verwalter, Hofleute, darunter auch viele Menschen jüdischen Glaubens.

Bis zum 2. Weltkrieg lebten in Nieder-Wiesen ca. 60 jüdische Einwohner. Die jüdische Gemeinde hatte seit 1745 sogar eine eigene Synagoge, die in der Kirchgasse 13 stand. Im Jahre 1770 wurde sie baulich erweitert und schließlich in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 durch ein nationalsozialistisches Rollkommando in Brand gesteckt. Eine Gedenktafel neben dem Kirchen-eingang erinnert heute mahnend an jenes unselige Ereignis im Ort. Der Judenfriedhof vor dem Dorf (Morschheimer Weg) erinnert ebenso an die jüdische Geschichte Nieder-Wiesens.

Auch der im 18. Jahrhundert begonnene Quecksilberbergbau trug zum wirtschaftlichen Aufschwung Nieder-Wiesens bei. Zwischen 1724 und 1780 werden 41 Bergmannsfamilien in den Kirchenbüchern als hier wohnhaft bezeichnet. Die Bergleute kamen aus verschiedenen Gegenden hierher, die meisten aus Sachsen.

Noch heute finden sich Spuren aus dieser Zeit: Im Wiesbachtal von Wendelsheim aufwärtskommend zeigen sich in der Nähe des Teufelsrutsches überwachsene und verschüttete Schacht- und Stollenanlagen; u.a. die sog „Schinderhanneshöhle“ mit ca. 50 m Länge. Hier soll sich der Legende nach der Räuberhauptmann Johannes Bückler ein Jahr vor seiner Hinrichtung in Mainz verborgen gehalten haben, bevor er laut Steckbrief „am 11. Mai 1802 nach misslungenem Raubversuch spurlos aus dem Departement Donnersberg verschwunden“ war.

Die Ausbeute der Karl-Theodor–Grube war jedenfalls so günstig, dass im Jahre 1774 mehr als 200 Zentner Quecksilber gehoben wurden. Auch gegenüber der Neumühle auf dem Höhenzug der nördlichen Talseite zeugen Einsenkungen und Grubenreste an frühere bergmännische Tätigkeit. Alte Chroniken berichten, man habe in der dortigen Karlsgrube ,,das Quecksilber mit Löffeln schöpfen können“. Im Jahre 1790 fand der Bergbau, der bis unter das Dorf Nieder-Wiesen betrieben wurde, ein jähes Ende. Der Kernsberger Stollen (der an der heutigen Westseite der Kriegsfelder Straße ab Haus Nr. 25 lag) musste wegen Wassereinbruch aufgegeben werden, obwohl man versuchte, durch Pumpwerke die eindringenden Wassermassen zu bewältigen. Sogar unter dem alten Pfarrhaus (Kriegsfelder Str. 8) soll ein vollständiges Pumpwerk angelegt gewesen sein.

Die Bergleute waren nun gezwungen, sich neue Arbeit zu suchen. In der sich positiv entwickelnden Landwirtschaft, als Waldarbeiter, als Steinhauer in anderen Gruben und vor allen Dingen im Maurerhandwerk fanden sie neue Beschäftigungsfelder. Nieder-Wiesen entwickelte sich zu einem ,,Maurerdorf". In den Wintermonaten, als die Arbeit auf den Baustellen ruhte, verdienten sich die Maurerfamilien ein Zubrot durch das Flechten von Weidekörben oder dem Binden von Reisigbesen; daher stammt die noch heutige Bezeichnung des Nieder-Wiesener Gebietes als ,,Besenschweiz".

Im Jahre 1858 lebten in Nieder-Wiesen 554 Einwohner (347 Evangelische, 8 Mennoniten,  83 Katholische, 116 Juden).

Um diese Zeit erfolgte die Umbenennung des Aschbaches („Eschenbach“) in „Wiesbach“, vielleicht in Anlehnung an die römische Bezeichnung „Visa“.

„Die Geschichte der Kirche“ auf die Seite der evangelischen Pfarrei Nieder-Wiesen

Das heutige Leben in Nieder-Wiesen

Bemerkenswert für ein Dorf in Rheinhessen ist, dass in Nieder-Wiesen aus klimatischen Gründen kein Weinbau mehr betrieben wird. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zwar einige Weinberge angelegt, doch hatten sie in der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung nur eine untergeordnete Bedeutung. Nach und nach verschwanden diese Weinberge aus der Gemarkung.

Heute gibt es keine Haupterwerbs-Landwirte mehr, nur im Nebenerwerb wird noch Landwirtschaft betrieben. Die größten Teile der Acker sind verpachtet an außerörtliche Betriebe, bzw. in Ökobrache überführt und z.T. stillgelegt worden.

Der Ort gehört heute zum Naherholungsgebiet ,,Rheinhessische Schweiz“. Von hier aus gibt es zusammenhängende Waldgebiete bis hin nach Frankreich in die Vogesen. Markierte und gut ausgebaute Wanderwege laden zu herrlichen Spaziergängen und Wanderungen mit Entdeckungen in der Natur ein. Der Wanderparkplatz mit Wandertafel und Grillhütte befindet sich gegenüber des Sportplatz`s am Waldrand.

Die Bewohner des Ortes gehen ihrer Erwerbstätigkeit hauptsächlich als Pendler in den Städten des Rhein-Main-Gebietes nach. Im Ort selbst gibt es allerdings auch einige Klein-Gewerbebetriebe des Handwerks. Für die Deckung des täglichen Bedarfes stehen ein Lebensmittelgeschäfte mit Bäckereifiliale, eine Postagentur und eine Bankzweigstelle zur Verfügung. Zwei Gaststätten laden zum Einkehren und Verweilen ein.

Das Leben in Nieder-Wiesen wird durch sehr aktive Ortsvereine geprägt: Neben dem Turn- und Sportverein (Fußball, Wandern, Kinderturnen) ermuntern der Männergesangverein, der Landfrauenverein, der Tennisclub und der SPD-Ortsverein zu Aktivitäten und Mitmachen. Auch in der Freiwilligen Feuerwehr ist das Engagement der Mitglieder außerordentlich hoch. Im Bürger-haus, sowie im Kommunalen Gemeindezentrum sind Räumlichkeiten für Vereinsaktivitäten, Festivitäten und private Veranstaltungen in großzügiger Weise vorhanden.

Auch die Angebote der Evangelischen Kirchengemeinde laden die Bewohner Nieder-Wiesen` s zu geistlicher Bereicherung und seelsorgerlich-diakonischer Begleitung ein.

Durch die erfolgte Einrichtung eines Kindergartens und die Ausweisung neuer Baugebiete wird in Zukunft die Attraktivität Nieder-Wiesens als Wohngemeinde steigen.